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Die Weihnachtszeit bleibt wohl jedem Kind gut in Erinnerung, so viel besondere Erlebnisse beschert sie uns. Der Nikolausabend war solch ein Tag, den wir Kinder herbeisehnten, wenn auch mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend, denn: Wer konnte schon von sich sagen, dass er immer brav gewesen!
"Wart nur, wenn de Nikolaus kummt!" Und schon zogen wir den Kopf ein, denn alle fürchteten sich vor der Rute, obwohl weder ich noch meine Geschwister sie jemals mit ihr bekommen hatten. Aber gedroht wurde uns schon, und der Nikolaus wusste auch jedes Mal sehr, sehr gut über unsere Missetaten Bescheid. Wieso sollte der Ausspruch von der Erwachsenen da nicht stimmen?
Am Tag selbst konnten wir kaum die anbrechende Dunkelheit erwarten. Jeder versuchte mehrmals, sein Sprüchlein aufzusagen, denn ohne ein Gedicht zu können, konnte man den großen Nikolaus nicht gütig stimmen. Jedem von uns Kindern gingen ein paar Schandtaten durch den Kopf: War der Nikolaus böse auf uns? Steckte er uns gar in seinen großen Sack?
Dann rasselt es mit schweren Ketten und laute Schritte waren auf unserer Treppe zu hören. Uns stockte der Atem. Es polterte laut an der Tür. Ich als Älteste der Geschwister musste öffnen und wagte kaum, den riesigen Mann im roten Mantel und weißem Bart anzuschauen. Eine große Rute hatte er in der Hand, mit der er uns jetzt drohte. Natürlich kannte er uns mit Namen und allen wurde gründlich die Leviten gelesen, nachdem wir unser Gedicht brav aufgesagt hatten. Mit dem Versprechen, dies und das nicht mehr zu tun und unserem eifrigen Nicken zog der Nikolaus seinen Sack hervor und leerte ihn aus. Ach, wie sammelten wir erleichtert Mandarinen (damals noch eine Seltenheit), Äpfel, Nüsse und allerlei Süßigkeiten ein!
So wie mir erging es vielen Kindern vor rund sechzig und siebzig Jahren. Andere aber hatten andere Erfahrungen gemacht. In katholischen Orten der Pfalz kam am Nikolaustag der Nikolaus als Bischof mit Mitra und Krummstab. Manche Leute haben mir erzählt, dass er einen im Gesicht geschwärzten, finster drein blickenden Knecht dabei gehabt hätte, Knecht Ruprecht eben. Andere erzählten mir vom Belzenickel mit seiner Rute und dem Christkind, die beide am Nikolausabend gekommen seien. Der Belzenickel, um zu drohen, zu poltern und zu schimpfen, die bösen Kinder in seinen Sack zu stecken, das Christkind als etwa zehnjähriges Mädchen, angetan mit einem feinen weißen Kleidchen, einem Blütenkränzchen auf dem Kopf und mit einem Korb voll kleiner Geschenke, um die guten Kinder zu belohnen. Über dem Gesicht trug das Christkind einen feinen weißen Schleier, so dass das Gesicht des heiligen Kindes nicht zu erkennen war.
Diesen Brauch habe ich nur erzählt bekommen, ich selbst habe das Christkind nie gesehen. Allerdings wurde in meiner Kindheit viel vom Christkind geredet. War der Himmel rot, machte mich meine Mutter auf ihn aufmerksam und sagte: "Schau, jetzt backt`s Christkindel Zuckerbrot." Ach, das Zuckerbrot oder die Gutsel, wie sie in meiner Familie hießen! Ein unsagbar guter, verlockender Duft zog sich so manchen Tag in der Weihnachtszeit durch unsere Wohnung. Vor Heiligabend durfte nichts gegessen werden. Alle Gutsel kamen bei uns in einen geflochtenen Weidenkorb, einen Waschkorb eben, weiße Leinentücher trennten die einzelnen Gebäcksorten. Mutter versteckte den Korb vor uns Kindern. Aber, wie Kinder eben sind, wir fanden das Versteck immer und stibitzen auch einiges, natürlich mit unsäglich schlechtem Gewissen.
Einige Zeit vor Weihnachten verschwanden auch die Puppen von uns Mädchen. „Die hat das Christkind geholt", wurde uns gesagt. Und mit dieser Antwort waren wir zufrieden. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, irgendwie gegen so einen Bescheid protestiert zu haben.
Nahte der heilige Abend, wurde die Tür zum „guten" Zimmer fest verschlossen. Das Zimmer muss für`s Christkind bereit sein, hieß es und, das Christkind will nicht gesehen werden.
Längst hatten wir unseren Wunschzettel geschrieben und ihn draußen auf`s Fensterbrett gelegt, damit die Englein ihn zum Christkind bringen konnten. Immer wieder versuchten wir, durch`s Schlüsselloch ins Weihnachtszimmer zu schauen. War da nicht ein heller Schein? Glitzerte da nicht etwas? Ich stellte mir das Christkind leuchtend weiß und zart vor, und wenn es zur Erde kommen konnte, musste es wohl feine Flügel haben, darüber war ich mir ziemlich sicher.
An Heiligabend ging die Familie zuerst zur Kirche. Mittags hatte es nur eine Suppe gegeben mit den Innereien der Gans, die am ersten Weihnachtstag im Ofen schön knusprig braun werden sollte. Nach dem Gottesdienst wurden wir Kinder mit verschiedenen Aufträgen beschäftigt, bis ein plötzlich ein feines, weißes Glöckchen zu hören war, so zart und hell, wie nur das Christkind klingen konnte, wenn es vom Himmel zu uns auf die Erde kam. Freudig öffneten wir das „gute" Zimmer, um vielleicht doch noch etwas vom Christkind zu erhaschen und standen geblendet vom Schein der vielen brennenden Kerzen am Christbaum.
Mit silbernem Lametta war unser Christbaum behängt, und silberne Kugeln hingen an den Zweigen. Bevor wir uns auf die Geschenke stürzen konnten, mussten erst noch Weihnachtslieder gesungen werden. Weil unsere ganze Familie im Singen recht ungewohnt war, war das mit Sicherheit kein Ohrenschmaus und der Brauch wurde auch, als wir größer waren, fallen gelassen.
Dann war endlich Bescherung. Unsere Puppen waren wieder da, alle neu eingekleidet. Auch die Puppenstube stand auf einmal wieder im Zimmer. Sie verschwand immer nach der Weihnachtszeit. Wo hätte sie während der folgenden Wochen denn stehen sollen? Kinderzimmer wie heute hatten wir nicht. Ein Zimmer schon, aber mit den drei Betten von uns drei Mädchen und dem Kleiderschrank war in unserem Kinderzimmer nicht viel Platz für Spielsachen.
Eine Krippe stand in meiner Kindheit nie unter dem Weihnachtsbaum. Krippen gab es nur in katholischen Familien. Diesen Brauch aus meiner Kindheit habe ich als Erwachsene gern abgelegt.
Traditionelles Essen an Heilgabend: Würstchen mit Kartoffelsalat
1. Weihnachtsfeiertag: Gans mit Rotkraut, Kastanien , Kartoffeln und Apfelbrei
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